Werkphasen
Das Ende der Ehekrisen war noch nicht erreicht. Die unveränderte persönliche Verfassung mag ein Grund sein, warum – trotz der Rückkehr in die Schweiz – noch kein deutlicher stilistischer Wechsel zu erkennen ist.
Doch vertieft sich Vietinghoff in das Thema der Transparenz (Transluzenz) der Farbe. Das Bild Schiesshorn von 1939 wirkt wie eine monumentale Orchesteretüde zum Phänomen der Transparenz (Transluzenz). Darauf folgt die Blutorange in Tempera von 1940 wie ein intimes Kammermusik-Stück. |
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Die Bilder entstehen in allmählicher Verdichtung indem die Farben gemäß der mehrschichtigen Öl-Harz-Malerei getrennt übereinander aufgetragen werden, so dass die unteren durch die Lasuren hindurch teilweise sichtbar bleiben. Beim Schiesshorn scheinen Fels und Tannen durch den Schnee, bei der Blutorange das rote Fruchtfleisch durch die Haut einzelner Spalten.
Beide Male wird die sichtbare Natur wörtlich genommen, nämlich dass etwas Lichtdurchlässiges über etwas Durchscheinendem liegt. Die dadurch entstehende Farbtiefe und natürliche Plastizität der Objekte ist nur mit dieser mehrschichtigen Lasurentechnik zu erzielen. Sie ermöglicht auch die über den dunklen Grund hingehauchten geblichen Schleier bei der Tänzerin in rauchigem Raum, einer Erinnerung an seine Erlebnisse in Spanien. Die Birnen auf Delfter Teller sind farbintensiv und besonders plastisch geraten; sie entstanden 1938 also noch vor den Jahren mit sanfterem Kolorit. |
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Die Jahre 1940-1942 und teilweise 1943 fallen auf durch einige in den Farben besonders sanft gehaltene Werke, die gerade durch ihr meditatives Pianissimo, durch einen liebevollen Dialog mit den Gegenständen im Flüsterton beeindrucken>:
- Zwei Äpfel auf weißem Teller, - Mandarine und Nüsse auf weißem Teller, - Zwei Mandarinen, - Orange auf Delfter Schale. Alle diese Bilder sind in der Galerie zu sehen, indem man z.B. a) die Phase "Früh II" auswählt oder b) Stillleben chronologisch sortiert oder c) Stichworte wie "Apfel", "Orange", "Mandarine" oder "Teller" in die Volltextsuche eingibt. Für ein größeres Format klickt man dort auf eine der Lupen. |
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Während die Chrysanthemen von 1944 schon durch das Großformat wuchtiger wirken, präsentiert sich der Frühlingsstrauß mit Vergissmeinnicht von 1944 (s.o.) kraftvoll als ein Highlight am Ende dieser Phase. Wie schon bei den Fischchen in Glasschale ist Verdichtung bei beiden ein deutliches Merkmal. Der Frühlingsstrauß mit Vergissmeinnicht steht in kompakter Frische da, "entwaffnend ehrlich".
Es ist eine Synthese zwischen Lebensnähe und Kontemplation sowie zwischen Raffinesse der Details und Kraft des Wesentlichen. Das "sanft" Genannte verzieht sich etwas in den Hintergrund, der farblich besonders nuanciert ausgearbeitet ist (s.o.). Der Apfelbaum mit Blick über den Zürichsee (1944) ist ein typisches Exemplar aus der Gegend um Zürich, typisch auch für Vietinghoffs Malweise dieser Jahre, immer noch in der Entwicklung seiner später viel gekonnteren Technik. Die Landschaft Dietikon (s.o.) entstand in den Jahren 1942-1945; der Anfang lag also sichtbar noch in der Zeit mit "sanfterem" Kolorit und wurde im ersten Jahr der Phase Mittel I im Atelier intensiviert und abgerundet. |
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Phase Mittel I 1945-1951
Was geschieht in Phase Mittel I ?
Das ersehnte Kriegsende ist für den halb deutschstämmigen Schweizer Bürger Egon von Vietinghoff zwar eine ambivalente Erfahrung, für den Europäer und strikten Pazifisten aber das Ende eines Alptraums. Und endlich wieder reisen! Zuerst nach Holland und nach Italien. Er zieht in die Siedlung Genossenschaft Neubühl um, nur eine Fußminute vom Atelier entfernt. Die Scheidung von seiner zweiten Frau Heidi ist eher eine Formalität; seine dritte Ehe mit Maria Juliane Foerster (Maritta) aus Deutschland allerdings ebenso heftig wie von kurzer Dauer, der Scheidungsprozess ist mörderisch. Davor erlebt er die Geburt seines Sohnes Alexander. |
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Was malt er in Phase Mittel I ?
Er malt weiterhin Landschaften aus der Umgebung von Zürich und aus dem Tessin, große und kleine Blumenbilder im Hoch- und im Querformat sowie Figürliches (einzelne Frauengestalten aus der Phantasie, Karneval- und Tanzszenen sowie eine Kreuzigung). Eines der gelungensten Porträts, eines seiner zweiten Frau, Heidi mit buntem Schal, entsteht am Ende ihrer Ehezeit (in der Online-Galerie kann eine Bildbeschreibung dazu aufgerufen werden). |
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Von seiner dritten Frau (Maritta) und von seinem Sohn Alexander fertigt er in den sieben Jahren dieser kurzen Phase zusammen fast 20 Öl-Bilder und viele Zeichnungen. |
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Nach der Geburt von Alexander entsteht von ihm eine bis ins Jahr 1968 Jahr für Jahr fortgesetzte, schöne Porträtserie in Rötelkreide sowie in den Jahren 1949 und 1968 zusätzlich je ein Öl-Porträt. |
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Stilistisches zu Phase Mittel I
Das Porträt Heidi mit buntem Schal (s.o.) und der Blick auf Baar zeigen eine sehr harmonische Farbgebung und eine freiere Pinselführung. Sie atmen eine "gelassene Selbstverständlichkeit" und scheinen mit weniger Suchen, Experimentieren und Unterbrechungen zustande gekommen zu sein, wirken homogener und leichter. Die Pinselstriche werden fliessender und die Farbübergänge – auch bei kräftigeren Tönen – subtiler. Einige der Bilder wie die Zinnien und Rittersporn (s.u.) erfüllen diese Kriterien allerdings nicht so wie andere. Während das Mädchen mit rotem Hut (1945) eher den Übergang von der vorherigen Phase dokumentiert, ist beim Mädchen am Strand (ebenfalls 1945) ein künstlerischer Schritt abzulesen. Dies ist eine Art Übergangsphase mit abschließender Erarbeitung seines Handwerks als Ausgangslage für das Aufblühen seiner Malweise in den folgenden Jahrzehnten. |
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Dadurch erklären sich auch gewisse Widersprüche zu den noch flächiger wirkenden Werken, deren endgültige Farbwirkung mittels Lasuren noch nicht so differenziert sind. Auch die meditative Schau scheint noch nicht voll und ganz in den kreativen Prozess integriert zu sein. |
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Phase Mittel II 1952-1969
Was geschieht in Phase Mittel II
Biografischer Neubeginn und Beruhigung seiner Lebensumstände, Heirat seiner 4. Frau Liane Lenhoff aus Österreich, mit der er noch 41 Jahre, also bis ans Lebensende zusammen leben wird. Die Tochter aus Argentinien ist für 3 Jahre in Zürich und der Vater stirbt. Eigene Vaterpflichten während der Schulzeit des Sohnes binden ihn stärker an Ort und Arbeit. Umstieg vom Fahrrad auf Motorroller, später erstes Auto. Reisen im Inland sowie nach Österreich, Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal. Spanien, London und in die Türkei: fast immer auf der Suche nach Kulturstätten und Kunstdenkmälern; viele Museumsbesuche. Eigene Ausstellungen in Galerien in mehreren Schweizer Städten; in der 2. Hälfte der Phase beginnende Verkaufserfolge. Infolge davon erste hochproduktive Phase mit durchschnittlich 58 Bildern pro Jahr. Mit der biografischen Zäsur durch den Auszug und den Studienbeginn seines Sohnes endet diese Periode und Vietinghoffs Stil entwickelt sich weiter. |
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Was malt er in Phase Mittel II ?
Seine Frau Liane entdeckt auf Spaziergängen wilde Früchte wie Kastanien, Walnüsse, Haselnüsse und Beeren von Sträuchern. Die Blumenarrangements werden ebenfalls durch Lianes Wanderungen mit wildem Mohn, Federnelken, Schlüsselblumen, Dotterblumen, Silberdisteln u.a. bereichert. Er malt öfters Brote oder Pilze, und als Requisit benutzt er besonders gerne einen Zinnteller. Aufgrund der Beziehungen seines wichtigsten Händlers zur Gastronomie entstehen mehrere Werke mit Sujets wie Speck, Schinken, italienischer Coppa, Forellen und Languste. Aufgrund der regelmäßigen Rötelzeichnungen seines Sohnes, die sich zu einer gelungenen Serie reihen, ergeben sich auch mehrere Aufträge für Kinderporträts in Rötel, ebenso größere Öl-Porträts. Obwohl weniger gefragt, entstehen auch viele figürliche Werke in unterschiedlichen Formaten. Diese Arbeiten waren des Künstlers eigenes "Vergnügen" als Abwechslung zu den vielen Stillleben und Blumenbildern. |
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Auch malt er viele Landschaften in der Schweiz, in Holland und in Frankreich, die letzte im Jahre 1968 in Apulien. Unter seinen Käufern werden neben Äpfeln auch Kirschen und (in der 2. Hälfte dieser Phase) Silberdisteln ein besonders beliebtes Sujet. Gleich im ersten Jahr dieser Phase, im Übergang zur vorhergehenden, entstehen die Glarner Berge, an denen man die Steigerung der erreichten visuellen Freiheit und des maltechnischen Könnens gut feststellen kann – sowohl in der großzügigen Anlage dieses nur 35 x 22 cm großen Bildes als auch im Raffinement vieler "mikrokosmischer" Details.
Seine Frau pflegt einen kleinen Garten, der auch zur Variation der Blumenbilder beiträgt. So regen den Maler und seine Kunden z.B. die intensiven Farben der Kapuzinerblüten mit deren runden kontrastierenden Blättern an, die er in dieser Periode gleich 15-mal präsentiert. |
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Stilistisches zur Phase Mittel II
Die Beherrschung des Handwerks ist im Prinzip erreicht, wegen der meisterhaften Lasuren leuchten die Farben intensiver und von innen her. Das maltechnische Können und die neue familiäre Häuslichkeit verführen – besonders in der 1. Hälfte der Phase – vorübergehend jedoch auch zu braveren und ausgemalteren Darstellungen. Die Bewegungen des Pinsels sind verhaltener, die Sehweise scheint gebundener an das Objekt und gelegentlich konkurriert die Freude über das maltechnische Können mit seiner Philosophie der "visionären", transzendental ausgerichteten Sehweise. Beispiele sind die Kapuziner in Porzellanschale (1954) und Feigen mit Blättern (1954) sowie die Bilder Baguette und Nüsse (1958/59) oder Languste (1965). Nebst einigen anderen Gemälden der Jahre 1954-1960 zeigen sie eine eher auf Harmonie bedachte Malweise und neigen zu mehr Genauigkeit. Die gelassenere und großzügigere Pinselführung der anschließenden Phasen baut auf diesen Jahren der Stabilisierung auf. Der Anfang dieser Phase kann als "Sicherung des Erreichten" gesehen werden. |
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Dass er deswegen in dieser Schaffensperiode keinem Realismus verfällt und die visionäre Malerei Vietinghoffs Ziel und Inhalt bleibt, beweisen andere Beispiele aus den Jahren 1956-1963. Bei den Landschaften erforderten die Umstände offensichtlich vermehrte Spontaneität: einmal die ungewöhnliche Kälte von minus 25° C bei Winter im Engadin – Schneelandschaft bei Champfèr, andere Male der Wind und die schnell wechselnden Wolken z.B. bei Landschaft bei Bourges und Neusiedler See in Österreich ....
... oder die umbrechenden Wellen bei Brandung am Atlantik (Mimizan Plage). [vgl. die entsprechenden Bildbeschreibungen in der Galerie]. Die Bedingungen verlangten von der auf das Wesentliche ausgerichtete Intuition höchste Wachsamkeit und spontane Umsetzung, was der visionären Seh- und Malweise zugute kommt – für kleinliche Genauigkeit war einfach keine Zeit. |
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Wir erinnern uns seiner Worte über das Aktzeichnen in Paris: "Die in kurzen Abständen wechselnden Stellungen zwangen mich, Formen und Grössenverhältnisse mit einem Blick zu erfassen – eine Übung, die mir später sehr zustatten kam, um das Wesentliche einer Bewegung augenblicklich festzuhalten und mit einigen Strichen wiederzugeben, statt das Papier durch wiederholte Korrekturen zu verschmieren. Auch beim Porträtieren nahm ich mir vor, keinen Strich aufzusetzen, bevor ich nicht überzeugt war, es sei der richtige. Diese stetig erneuerte Kontrolle schloss unbestimmtes Herumprobieren aus und gewöhnte mich an eine disziplinierte Arbeitsweise, die ich auch bei der Farbgebung anwandte." (E.v.V.) |
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Hier zwei besonders gelungene Vertreter dieser Phase: Kirschen in Delfter Schale (1963) und Sprotten (1964). Vietinghoff meistert nun die Technik mehrschichtiger Öl-Harz-Malerei, findet eine Synthese zwischen leuchtenden Farben und Plastizität durch Nuancierung und Differenzierung innerhalb der Gesamtkomposition wie auch innerhalb eines einzelnen Objekts (Sprotte oder Kirsche). Der dunkle Hintergrund blendet Unwesentliches aus. |
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Ein ähnlicher "Bühneneffekt" entsteht bei der Zitrone (1968) und bei den Zwei Birnen (1964). Respektvoll wird den Früchten individueller Raum gegeben, nicht einmal ein Teller oder die Bordüre eines Stoffs lenken ab.
Vietinghoff hat die reine Malerei erreicht, die ohne zusätzliche Requisiten (Teller, Gläser) und Perspektiven (schräg liegendes Besteck, Tischkante) Form und Raum ausschließlich per Farbe erzeugt. (deutlich auch bei den Steinpilzen s.o.) Die Wölbungen der Birnen und die hervortretenden Partien der dicken Zitronenschale bekommen einen höheren, hellen und deckenden Farbauftrag. Sie treten dadurch sowohl physisch wie farblich hervor. Die Ränder der Birnen gehen sanft in den Hintergrund über; das durchscheinende Fleisch der Zitrone erhält an den geschälten Stellen kaum Farbe: die Grundierung scheint durch. Allein die Höhenunterschiede der Farbschicht von ca. 0,1 mm bis ca. 2 mm kombiniert mit der Verteilung heller und dunkler Töne lassen die Früchte in ihrer natürlichen Plastizität erscheinen. Das ist das Spektakuläre im Schlichten und Bescheidenen! Beide Werke befinden sich in der Stiftung und sind in der Galerie mit einer Bildbeschreibung bedacht. |
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Die Auswahl der Beispiele aus diesem so schaffensintensiven Abschnitt fällt schwer. Wir runden das Spektrum mit zwei exemplarischen figürlichen Werken ab, die in des Künstlers Phantasie geboren wurden, also keine realen Personen darstellen. Zu der jugendlichen und doch ebenso reifen wie stillen Anmut des Bildes Junge Frau mit Hut und Schale von 1954 passt die Fassung in monochromer Tempera, die wegen der Höhungen durch weiße Ölfarbe trotzdem sehr plastisch wird. Es markiert schon am Anfang der Phase einen deutlichen Unterschied zu den Darstellungen früherer Jahre. Das Mädchen mit offenen Haaren von 1968, also gegen Ende dieser Phase, erscheint trotz Farbgebung ähnlich zurückhaltend, der Fokus der Lasurentechnik und des Lichts liegt auf dem Dekolletee. Vietinghoff findet die Balance von gesammelter Aufmerksamkeit zwischen ihm und dem imaginierten Gegenüber einerseits und andererseits einer leichten Pinselführung, an einige Frühimpressionisten erinnernd. |
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