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Sujets und Stil

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Sujets und Stil

Fischchen in Glasschale, Eierbecher und Farbtuben Milchtopf, Tintenfass und Pinsel Egon von Vietinghoff sucht in den allerersten Jahren auch Erfahrungen mit dem Kubismus und gibt ihn als Stilmode empfunden – wie andere Maler auch – bald wieder auf. Letzte Bilder mit kubistischem Einfluss von 1923 sind nicht erhalten. Die ersten nur auf Schwarz-Weiß-Fotos erhaltenen Bilder zeigen teils noch dilettantische Übungen anhand zufälliger Objekte (z.B. Milchtopf und Tintenflasche) oder ungelenke Darstellungen "ungeordneter" Gegenstände seines Junggesellen-Alltags (z.B. Fischchen, Eierbecher und Farbtuben).
 

Frau Gibbon mit Brosche Boote in der Bretagne (Loctudy) Schon bald erkennt man Fortschritte bei der Anwendung seiner maltechnischen Entdeckungen – allerdings noch mit erkennbaren Elementen des Stils der Zeit (Porträts und weibliche Akte mit breiten Augenlidern sowie dem Flair der Pariser Szene und Mode der Zeit). Auch das damals unter Malern geläufige Thema "Boote am Ufer" oder eine Gitarre als Sujet kommen bei ihm vor. Gemälde aus jenen Jahren, die vor seinem eigenen Urteil bestehen können und die er nicht vernichtet, werden gelegentlich verkauft, durch Kriegsfolgen zerstört oder sind verschollen.
 

Landschaft mit zwei Sitzenden Aufforderung zum Tanz Egon von Vietinghoff greift zu den bekannten Medien der Malerei: er arbeitet mit Temperafarben und anfangs auch in Gouache, mit Bleistift und Kohle, mit der Radiernadel und der Feder und er porträtiert mit Rötelkreiden. Doch schon bald verwendet er Tempera nur noch zum Untermalen als Vorstufe über der Grundierung, abgesehen von einigen monochromen Ausführungen nach Art der Camaieu- oder Grisaille-Malerei. Dies wendet er nur bei figürlichen Phantasien an, wo er die bräunlich-rötliche Tempera mit wenig weißer Ölfarbe überhöht und mit etwas Schwarz kontrastiert. Er konzentriert sich früh fast ausschließlich auf die mehrschichtige Öl-Harz-Malerei.
 

Auf Stuhl sitzender weiblicher Akt mit übergeschlagenem Bein Alexander 1960 Von den 1940er-Jahren bis in die 1970er-Jahre zeichnet er einige Dutzend Kreide-Porträts, darunter viele von Kindern. Wenn er nicht seine Frauen oder seinen Sohn porträtiert, so sind es Aufträge.








Wohl aus der Zeit ca. 1940 bis ca. 1952 sind viele Aktzeichnungen nach Modellen erhalten, die teils intensiver ausgeführt, teils nur hingehaucht sind (vgl. Online-Galerie Kategorie "Malart", Unterkategorie "Kreide auf Papier").
 

Urteil des Paris I Radieschen Seine Motive umfassen alle klassischen Themen: Stillleben, Landschaften, Akte, Porträts, Blumen und figürliche Szenen aus der Bibel, der Mythologie und den Eindrücken der prägenden Wanderung als Jugendlicher durch Spanien und Marokko. Bis in die Sechzigerjahre sucht er in der Umgebung und auf Reisen Landschaftsmotive. Regelmäßig geht er auf den Obst- und Gemüsemarkt oder bittet seine Frau Liane um Wiesenblumen oder wilde Früchte. Denn er braucht eine konkrete Vorlage für jedes Bild, außer für die vielfigurigen Szenen, die – ebenso wie die "Phantasien" einzelner Frauen – in seiner Vorstellung entstehen.
 

Jan Brueghel d.Ä., Kleiner Blumenstrauß in einem Tongefäß (1599), Kunshistorisches Museum Wien Francisco de Goya, Zwei alte Männer (Ausschnitt, ca. 1821-1823), Museo del Prado, Madrid Vietinghoff setzt sich technisch und geistig mit den Alten Meistern auseinander und lernt von ihnen. Dennoch imitiert oder zitiert er sie nicht und findet seinen eigenen Stil. Es gibt höchstens eine Handvoll Bilder, die eine direkte Bezugnahme auf bestimmte Gemälde berühmter Vorbilder aufzeigen oder vermuten lassen – und dann eher zwecks maltechnischer Vergleiche.



Infolge intensivster Studien seiner Malerfavoriten hat er allerdings gewisse Kompositionsmuster und Motivelemente so sehr verinnerlicht, dass sie auch (unbewusst) aus seiner Bilderwelt wieder auftauchen.
 

Sommerstrauss mit Mädesüss, Odermennig und Beeren Zwerg So könnten z.B. die kraftvolle Dichte einiger Blumensträuße vage in die Nähe zu jenen von Jan Bruegel d.Ä. und seiner Zeitgenossen gebracht werden. Und die Zwergenfigur am linken Rand von Vietinghoffs Hexensabbat hat – auch in der Farbgebung – groteske Verwandte in Goyas Werken. Auch ein auf Stillleben gelegentlich auftauchendes Messer mit gelblichem Griff, ein Weißwein-Römer oder die Zinnteller sind Versatzstücke der altmeisterlichen Ikonographie.


Zur Verdeutlichung sei der Umkehrschluss erlaubt: Obgleich er sich für eine Ente von Sustermans, die Rebhühner und Hasen von Chardin, den Goldregen der Danae von Tizian und die Amazonenschlacht von Rubens begeistert, widmet er keines seiner über 2700 Bilder einem dieser Themen. Ein Bewunderer Guardis, van Goyens und Turners hinterlässt er dennoch keine eigentlichen Stadtansichten, Bilder mit Schiffen oder einer Eisenbahn. Auch ist er kein Tiermaler.

Die einzige Ausnahme, die wir kennen, ist ein kleines Frühwerk, die Veduta Boote im Golf von Neapel von 1922/23, die 2015 auf einer Auktion auftauchte.
 

Edouard Manet, Spargelbund (1880), Wallraf-Richartz Museum, Köln Spargelbund Noch ausstehende kunsthistorische Analysen mögen zwar zu wissenschaftlicheren Schlüssen führen, aus Jahrzehnte langen Gesprächen mit dem Künstler und der Kenntnis seiner Persönlichkeit ist aber mit Sicherheit festzustellen, dass er niemals beabsichtigte im Stile des einen oder anderen Vorbilds zu malen. Auch wenn sich ikonographische Assoziationen zu seinen Vorbildern ergeben, so sind sie eher unbewusster Natur und nicht als Imitation oder Zitate zu verstehen.
 

Kastanien mit gelben Blättern Gesellschaft mit Kindern - II Ihm ist die Auswahl des Sujets eigentlich einerlei, denn er misst Kunstwerke am Vorhandensein einer Vision und der Art ihrer Umsetzung. Im Sinne seiner visionären Malerei interessiert ihn weder das abgebildete Objekt noch der erzählerische Inhalt einer Szene, sondern ausschließlich das Wiedererkennen der geglückten Umsetzung einer künstlerischen Phantasie. Ebenso wenig beurteilt er den Kunstgehalt eines Werks anhand historischer, biographischer, anekdotischer, allegorischer und psychologischer Bildmotive oder gar persönlicher Motivationen des Künstlers selbst.
 

Kaffeemühle, Kaffeegeschirr und "Gipfeli" Speck, Wurst, Brot und Gemüse mit Kupferkanne auf blauem Tuch Äußerst selten jedoch richtet er sich nach Kundenwünschen. So entstehen einige Bilder mit Schinken, Speck, italienischer Coppa und Fischen, die über einen Händler an Restaurants verkauft werden. Doch außer gelegentlichen Stillleben mit Fischen und einigen wenigen mit Languste oder Garnelen, mag er während des Malens keine toten Tiere wie Hasen oder Fasanen vor sich liegen haben. Unter den Auftragswerken ist ein singuläres Sujet zu nennen: "Kaffeemühle mit Kaffeeservice und Gipfeli"; das Bild befindet sich im Besitz des Johann Jacobs Museums (sogen. "Kaffee-Museum") in Zürich.
 

Aufgebrochene Orange Offene Orange Ein verkauftes Bild ersetzt er durch ein neues mit gleichem Sujet – er muss schließlich seine Familie ernähren. So steuert der Verkauf die Häufigkeit einiger Sujets: Bilder mit Blumen und Früchten haben deshalb den größten Anteil am Gesamtwerk. Besonders bei den Stillleben wächst in 70 Schaffensjahren eine Fülle von Variationen. In der wiederholten Herausforderung beim Gestalten spezifischer Eigenschaften einzelner Früchte steigert er seine Fertigkeit dem Schlichten eine Größe zu verleihen und tückische Details malerisch umzusetzen.
 

Erdbeere (vorne rechts) linke Erdbeere Besonders ist dies zu beobachten bei der Darstellung der samtigen Haut von Pfirsichen, den Glanzlichtern auf Kirschen, den aufgebrochenen Orangen, der Unregelmäßigkeit von Walnussschalen, den Erdbeerporen, der Durchsichtigkeit heller oder dem matten Film auf blauen Weintrauben. Es gelingt ihm immer besser und schneller, die Natur der Dinge künstlerisch zu erfassen; die Ausführungen werden gekonnter und erscheinen trotzdem in immer wieder neuen Variationen.
 

Brot Rote Beeren In seinen Stillleben errichtet E.v.V. den einfachsten Naturobjekten eine Bühne und zeigt sie uns ganz neu. Seine Gemälde fallen auf durch faszinierende Plastizität und virtuos gesetzte Glanzlichter. Die Oberfläche der Vorlagen ist nicht minuziös abgemalt, sondern treffsicher charakterisiert. Seine persönliche Ruhe, Kraft und Lebensintensität fließen in die Bilder ein.
 

Berg und Lärche (rechts) Zitronenschale Die Farben werden umso dicker aufgetragen je heller sie sind. Das Licht erscheint intensiver, wo es an einer deckenden Farbe reflektiert wird.

Bei Stillleben und teils bei figürlichen Motiven wird ihre Wirkung gesteigert durch den Kontrast zum üblicherweise dunkel gehaltenen Hintergrund, durch den die Grundierung als Tiefenlicht hindurch scheint.
 

Mund und Nase Hauptmotiv Mit sparsamsten Mitteln erzeugt er virtuos größte Wirkung. Er erfasst die Objekte nicht durch simples Kopieren, sondern indem er das Wesen der Form, der Farben und des Lichts in einer Vision erschaut und dies erstaunlich natürlich umsetzt.





Aufgrund profunder Farbkenntnisse sowie der eigenen Herstellung seiner Werkstoffe möglichst aus reinen Naturprodukten erreicht er die außergewöhnliche Plastizität und innere Leuchtkraft seiner unverwechselbaren Gemälde.
 
     
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