Naturprodukte
Naturprodukte als Werkstoffe
Wesentlich für die warme, natürliche Leuchtkraft in Vietinghoffs Werken sind (neben einigen anorganischen Pigmenten) die organischen Grundstoffe Ei, Kasein, Lein- und Mohnöl, Lärchenterpentin, Kirschgummi, Gummi arabicum, fossiles Harz, Lederleim sowie verschiedene Erden. Als ob das Rot des Mohn, das Blau der Leinblüten und das lichte Gold der Lärchen in seinen Bildern lebte.
Für ihn sind diese "Urmaterialien" die logischen Werkstoffe, die sowohl seinen zeitlosen von der Natur angebotenen Bildinhalten als auch seiner ungekünstelten Sicht und Arbeitsweise angemessen sind. |
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Sujet, Form, Kontemplation, Vision, Material und Technik gehen mehrfache Wechselwirkungen ein. Die künstlerische Phantasie ist auf Motive der Natur gelenkt. Auf sie geht er in ursprünglicher, "kindlicher" Weise zu, d.h. von angelerntem Wissen unbelastet, nach seiner meditativen Methode "Schule reinen Schauens" (s.d.). Dadurch entsteht über das Sinnesorgan Auge eine Schau von Farben und Lichtspielen, die zur dargestellten Form führt.
Das reale Objekt ist als Auslöser der Vision entscheidend. Im künstlerischen Umwandlungsprozess wurde es jedoch von der Vision abgelöst und hat seine konkrete Bedeutung verloren. Trotzdem ist es bei gegenständlicher Malerei wieder erkennbar. |
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Was Vietinghoff malt, ist das in der Vision gewandelte Objekt d.h. das Farbdrama vor seinem geistigen Auge, nicht das real vor ihm liegende Objekt vor seinem physischen Auge.
Außer bei der Brechung des Lichts sind Farben immer an Gegenstände gebunden. Deshalb entsteht in der Vermittlung des visuellen Erlebnisses der Gegenstand auf der Leinwand fast wie von selber, wenn die Farbwahrnehmung sich auf eine konkrete Form bezieht und keine konstruierte Abstraktion vorliegt – auch wenn es sich vor dem geistigen Auge abspielte. Des Betrachters Auge setzt diese Farb- und Formenelemente ganz selbstverständlich zum ursprünglichen Gegenstand zusammen und erkennt die Vorlage wieder. Das Künstlerische daran ist nicht eine verblüffende Kopie oder eine nachdenklich stimmende oder aufrüttelnde Veränderung zu erzeugen, sondern in der Kontemplation das Wesen der Objekte zu erfassen und die Phantasie bei der Umsetzung der Farbvision. |
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Für diese künstlerische Metamorphose von Sinneswahrnehmungen ist Vietinghoff auf beste Ausgangsstoffe angewiesen. Die Auseinandersetzung mit den natürlichen Materialien bringt einen – im weitesten Sinne des Wortes und teilweise unbewusst – "ökologischen" Aspekt in sein Schaffen, Jahrzehnte bevor sich die breite Öffentlichkeit mit dieser Thematik zu befassen beginnt.
Sparsam verwertet er auch kleinste Mengen schwer erhältlicher Substanzen. So muss z.B. ein pflanzliches Öl aus vollreifen, nicht angeschimmelten Samen und zudem kalt geschlagen aus erster Pressung stammen. Außerdem darf es nicht chemisch extrahiert oder mit Mineralöl oder Tiertran verschnitten sein. |
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Durch schlechtes Saatgut und falsche Behandlung sowie durch Verunreinigung mit chemischen Rückständen oder Verfälschen mit billigeren Surrogaten verändern sich die Eigenschaften des Öls. Auch schlechte Lagerung trägt dazu bei. Es wird trübe, dunkel oder vergilbt später, es wird dick, zäh, klebrig oder trocknet nicht.
In der Produktion ist industriell hergestelltes Öl zwar ergiebiger und im Handel auch günstiger zu bekommen, doch für Vietinghoffs hohe künstlerische Ansprüche sind diese Industrieprodukte nicht brauchbar. Allerdings kann er auf einige chemisch produzierte Pigmente auch nicht verzichten. |
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Vietinghoffs Rezepturen aus Naturstoffen tragen wesentlich zur Gesamtwirkung der Gemälde bei. Es entstehen Werke aus der Natur, in umfassendem Sinne des Wortes. Handwerk und künstlerische Vorstellung führen gemeinsam hin auf in sich abgerundete Kunst-Werke. Mit seiner ganzen Persönlichkeit setzt er sich für das Ziel einer Synthese von Geist und Materie ein.
Sein Ora-et-labora ("Bete und Arbeite") fächert sich von meditativen Einblicken in die Natur seiner Motive bis hin zur Meisterung der Werkstoffe aus der Natur, die ihm die Darstellung des Geschauten ermöglicht. So entstehen seine charakteristischen Farben, die er auf die gewünschte Wirkung genau hin gemischt und auf deren Eigenschaften und Haltbarkeit er sich verlassen kann. |
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Somit hat er immer wieder mit unzulänglichen Materialien zu kämpfen. Und natürlich misslingt auch einmal etwas bei seiner oft experimentellen, intuitiven Herstellungsweise der Farben.
Ein chronisches Problem ist die Beschaffung des unersetzlichen Bleiweiß in bester Qualität – bei seiner Malweise eine der wichtigsten Farben. Er besorgt es sich meistens aus Paris, wohin er bis in die Siebzigerjahre jedes Jahr fährt. Über Verwandte und Bekannte sucht er danach – oft verzweifelt – in anderen ausländischen Metropolen und kauft sich auf seinen Reisen kleinere naturbelassene Restbestände verschiedener Materialien zusammen. |
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So ist es auch zunehmend schwierig, einen Leim zu bekommen, der nicht spröde wird. Oder das Venezianer Terpentin: endlich hat er in Wien einen Laden gefunden, der die erforderliche naturbelassene Qualität hat, endlich hat er die Verträglichkeit mit den anderen Ingredienzien getestet, hat den Herstellungsprozess auf die spezifischen Eigenschaften neu abgestimmt und sich an deren Wirkungsweise gewöhnt – da wird die Qualität zur Verbilligung abgesenkt. Oder noch schlimmer: die Lieferung vieler Ausgangsstoffe wird aus Rentabilitätsgründen und Mangel an Nachfrage nach und nach sogar ganz eingestellt.
Wer braucht denn diese Qualität noch, wer hat noch solche Ansprüche in Zeiten allgemeiner Synthetisierungseuphorie und aufkommenden Massenkonsums, in denen man Bilder mit Acrylfarben aus der Spritzpistole fertigt? (Etwa 10-15 Jahre nach dem Tod des Künstlers scheint teilweise eine allmähliche Rückbesinnung begonnen zu haben; die Qualität einiger Produkte hat sich wieder verbessert) |
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