Visionäre Malerei
Visionäre Malerei
In der Praxis der Maltechnik ist er Autodidakt, in seiner Malphilosophie ist er Alleingänger. Egon von Vietinghoff entdeckt Wissen, das weder in Fachbüchern noch an Akademien gelehrt wird. Er erkennt die visionäre Malweise bei einzelnen großen Meistern wieder und fühlt sich geistig in deren Tradition. Ihre Werke sind seine Liebe, seine Lehrer, seine Maßstäbe,
Er begnügt sich nicht mit mehr oder weniger gelungenen Abbildungen der Natur. Sein Blick wird durch die Welt von Rhythmen des Lichts und durch Farbstrukturen geleitet. Sein Auge führt ihn ins Mysterium von Erscheinung und Dasein – weit über das reine Wiedererkennen des Abgebildeten hinaus. |
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Statt sich beflissener Beschreibung von Oberflächen oder der Vermittlung gedanklicher Botschaften hinzugeben, strebt er nach der geistigen Durchdringung der Objekte. Anstelle eines originellen Einfalls als Ausgangspunkt eines Kunstwerks tritt die rein visuelle Öffnung gegenüber den Objekten. Er malt nicht ab, er erlebt von innen heraus. Er setzt die während des meditativen Aktes nachvollzogene innere Dynamik von Form und Farbe, von Hell und Dunkel auf der Leinwand um.
Der Weg dorthin führt beim visionär vorgehenden Maler über die ausschließlich visuelle Farb und Lichtwahrnehmung. Seine Bilder erzählen keine Geschichten, selbst bei den figürlichen sind die Motive bloß die optischen Vorlagen für visuelle Herausforderungen. Die Gegenstände sind zwar erkennbar, aber sie sind nichts anderes als das "unbeabsichtigte" Ergebnis der Vertiefung in deren farbliches Erscheinungsbild. |
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In seinem Manuskript "Das Wesen der bildenden Kunst" definiert er eine "Visionäre Malerei", die das Sichtbare als den reinen Rhythmus von Form und Farbe, von Hell und Dunkel darstellt.
Dies erfordert das Ausschalten aller gedanklicher Assoziationen zum Gegenstand und eine "ungegenständliche" Art der Wahrnehmung. Dieses "nicht dingliche" Sehen optischer Reize entsteht jenseits naturalistischer oder anekdotischer Absichten. Die Methode "reinen Schauens" ist hier in einem eigenen Kapitel beschrieben. |
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Vordergründige Betrachtungsweise der Phänomene, die sich spröde und ängstlich am Messbaren festhält und sich phantasielos am bloß Deskriptiven orientiert, ist ein Feind visionärer Malerei so wie Egon v.Vietinghoff sie aus seiner Selbsterfahrung definiert.
Der andere Feind ist die in die eigene Originalität verliebte Kreativität, welche die künstlerische Phantasie mit einfallsreichen Kopfgeburten verwechselt. Was ein visionärer Maler schließlich malt, ist nicht die materielle Dimension des Gegenstands, z.B. die Anzahl der Poren auf der Erdbeere, die Maßstab getreue Widergabe ihrer Ausdehnung. |
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Was ein visionärer Maler schließlich malt, ist nicht die materielle Dimension des Gegenstands, z.B. die Anzahl der Poren auf der Erdbeere, die Maßstab getreue Widergabe ihrer Ausdehnung. Ein visionärer Maler malt auch nicht eine Vorstellung, die man über das Objekt mitbringt, z.B. "ein Apfel ist rund, rot und essbar" (was eine Art Vorurteil sein kann) oder "klein erscheinende Gegenstände liegen perspektivisch hinter größer erscheinenden" (was ein kognitives Ergebnis vieler Erfahrungen ist). Was er malt sind optische Verschmelzungen von Farben und Lichtreflexen mit ihrer farblichen Nachbarschaft und ihrem Hintergrund.
Vor seinen Augen vollführt sich ein rhythmisches Spiel vielfältiger Wechselwirkungen der Objekte zu anderen Objekten, zur Auflagefläche und zum Hintergrund. Egon von Vietinghoff nennt es das "Drama von Form und Farbe" |
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Charles-Nicolas Cochin über Jean Siméon Chardin:
Eines seiner ersten Stillleben mit einem Hasen wollte Chardin so wahrheitsgetreu wie möglich, jedoch ohne sklavische Naturnachahmung malen. Sein Ziel soll es gewesen sein, nicht durch eine detaillierte Wiedergabe jedes einzelnen Haares, sondern durch die Darstellung der unterschiedlich geformten Massen aus einer optischen Distanz ein überzeugendes Bild des Tieres entstehen zu lassen, indem die Farbnuancen, Lichtverhältnisse und Formgebungen wahrheitsgetreu auf die Leinwand gebannt würden. |
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Der Künstler schaltet bei der Betrachtung eines Gegenstandes alle Erfahrungen, gedankliches Vorwissen und die Eindrücke der anderen Sinne aus. Sein Schauen bleibt rein visuell. So wird der Gegenstand durchdrungen, transzendiert, er löst sich auf in Form und Farbe, es entsteht die künstlerische Vision.
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Unermüdliche Sehübungen führen Vietinghoff zu transzendenten Erfahrungen, zu einer Schau des Wesens der Dinge. Über diese täglichen Sehübungen anhand der einfachsten Objekte dringt er in metaphysische Dimensionen vor und vermittlet im transzendierenden ("visionären") Malprozess dem Betrachter über die sinnliche Wahrnehmung eine Ahnung von dem, was sich hinter den Erscheinungsformen verbirgt.
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Durch seine Sehübungen in reinem Schauen versetzt er sich in eine meditative Aufnahmebereitschaft. Durch die Phantasie – nach seiner Definition – gesehen lösen sich die Dinge als reale Gegenstände vor seinem geistigen Auge auf zu einem farbigen und formalen Wunder, das ihn eine irrationale Welt erschauen lässt.
Diese Verwandlung der äußeren Erscheinung zur Vision ist das, was der künstlerische Schöpfungsakt genannt wird. Ob und wie weit sich diese Metamorphose vollzogen hat, gibt für ihn das einzig gültige Kriterium für den künstlerischen Gehalt eines Werkes ab. Voraussetzung ist die Beherrschung einer Maltechnik, die dies auf der handwerklichen Ebene zulässt. |
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So ist für Vietinghoff der künstlerische Akt vergleichbar der religiösen Meditation (auch wenn er es so nicht ausdrückte). Diese richtet sich direkt auf metaphysische, also jenseitige Phänomene aus.
Die künstlerische Sammlung hingegen schließt die Welt der Sinne mit ein und durchdringt zuerst das Sichtbare, das Materielle. Ein Künstler der "visionären Malerei" erlebt und erkennt die Metaphysik der Welt gerade durch ihre Sinnfälligkeit. Die Vision ist dabei das entscheidende Merkmal eines Kunstwerks. |
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Um die Fähigkeit transzendenter Wahrnehmung zu erreichen, versetzt er sich in eine bestimmte innere Balance von aufmerksamer Lockerheit und willenloser Sammlung. Seine Sehdisziplin kann mit den traditionellen Konzentrationsübungen verschiedener Religionen verglichen werden.
Das reine Schauen ist für den visionären Maler eine Vorstufe zu transzendentem Erkennen. Er versenkt sich visuell in ein Objekt und taucht in das "Drama von Form, Farbe und Licht" ein und wird zum Medium transzendentaler Erfahrung. Während seiner "Eingebung", fühlt er sich nicht mehr als ein aktiv Schaffender, sondern als ausführendes Werkzeug. Seine malerische Tätigkeit läuft dann mit einer solchen Präzision und Geschwindigkeit ab, dass er erst nachträglich feststellt, mit welch schlafwandlerischer Sicherheit er es vollbrachte. |
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"Jede Stunde der Eingebung beweist ihm (dem Künstler), dass der Zugang zum Absoluten möglich ist und jede unfruchtbare Stunde zeigt ihm, dass es sich dem Zugriff des Verstandes entzieht." (E.v.V.)
Eine Vision erzwingen kann der Künstler nicht, aber er kann sich ihr öffnen, gute Voraussetzungen schaffen. Dafür gibt es Mittel: Egon von Vietinghoff formuliert die Schule reinen Schauens. |
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