Aufbruch zu zweit
Chronologie der Biographie

 

Zürich

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Egon von Vietinghoff  Handbuch zur Technik der Malerei, 1983 Aufgrund seines technischen Könnens wird er gelegentlich gebeten, alte Bilder und Ikonen zu restaurieren oder Malschüler zu unterrichten. Gutmütig, wenngleich nicht immer begeistert, nimmt er auch solche Aufgaben an, selbst wenn er sich die Zeit dafür von der eigenen Schaffenszeit abzwacken muss. Von 1946 bis in die 1980er Jahre hat er zehn Privatschüler: geduldig gibt er sein Wissen weiter und schult bei diesen Gelegenheiten seine Didaktik, es schrittweise zu vermitteln. Das kommt der Klarheit seiner Manuskripte zugute, an denen er Jahrzehnte lang schreibt. Und die letzten drei Schüler sind ihm sogar beim Fertigstellen dieser Manuskripte sehr behilflich.
 

Transparenz (Transluzenz), Grafik 1 aus Vietinghoffs Handbuch Nach fast 50(!) Jahren des Notierens und Korrigierens ist es im Jahre 1981 endlich so weit: das Manuskript ist abgeschlossen. Ein Teil erscheint 1983 im renommierten DuMont Verlag als Handbuch zur Technik der Malerei und ist die Summe seiner einmaligen Werkerfahrungen und experimentellen Studien über viele Jahrzehnte.
 

Blutorange (schmaler Aussschnitt) Er definiert darin auch neben den drei bekannten Farbeigenschaften erstmalig eine vernachlässigte vierte:
die Transparenz (Transluzenz) der Farbe
(s. Kapitel Technik).

Damit stellt er den verlorenen Schatz der traditionellen mehrschichtigen Öl-Harz-Lasurentechnik als ein europäisches Kulturerbe den folgenden Generationen von Malern erneut zur Verfügung.
 

Egon v.Vietinghoff Der andere Teil des Manuskripts Das Wesen der bildenden Kunst hat ein philosophisches Anliegen, klärt Kunstbegriffe, deckt Missverständnisse auf und geht auf den Ursprung bildender Kunst ein. Vietinghoff definiert Intuition, Phantasie und Einbildungskraft ebenso wie Kitsch oder naturähnliche und dekorative Kunst. Er setzt sich kritisch und kämpferisch sowohl mit naturalistischer als auch mit abstrakter Malerei auseinander.

Sein Weg geht von spontanen transzendierenden Erlebnissen aus und führt ihn über eine meditative Sehweise, die er in der Schule reinen Schauens postuliert, zur Visionären Malerei. Diese entsteht weder aufgrund peinlich genauer Objektbeschreibungen noch aufgrund intellektueller Einfälle, politischen Engagements oder psychologischer Motivationen, sondern aufgrund ausschließlich visueller, sinnlicher Wahrnehmung, die ein radikales Loslösen vom Wissen und das Ausblenden von Gedanken voraussetzt.

Das Gemälde ist die Umsetzung der innerlich nachvollzogenen Rhythmen von Farben, ein Schauspiel von Licht und Schatten, worin sich eine transzendentale Welt eröffnet. Er folgt damit seinen großen Vorbildern, in deren besten Werken er anhand der intuitiven und phantasievollen Pinselführung (nicht im Sujet!) dieses tiefe künstlerische Verstehen und die ihm als Maler vertrauten transzendentalen Erlebnisse und eigenen Einblicke wiedererkennt.
 

Zwei Pfirsiche Diese ungedruckte Schrift wurde von Alexander von Vietinghoff in einer ersten Phase redigiert und im Jahre 2001 auf dieser Website unter Philosophie / Das Wesen der bildenden Kunst erstmalig publiziert. Eine weitere gründlichere Durchsicht und die Illustration sind noch nicht abgeschlossen.

Ohne dass er sich selbst jemals so bezeichnet hätte (dazu war er viel zu bescheiden), kann Vietinghoff als ein malender Mystiker gesehen werden, der über die Sinnesorgane, als Maler eben über die Augen, die äusseren Erscheinungen kontemplativ durchdrang, um ihre Essenz zu erfassen, in ihr Farben- und Formenwunder einzutauchen und dies auf der Leinwand sichtbar zu machen (s. Kapitel Vietinghoff – der Mystiker und seine Zeitgenossen). Daraus ergibt sich seine Philosophie einer reinen Malerei. Vietinghoff interessieren nicht die Kategorien "alt" oder "neu", historisch oder progressiv, sondern das visuelle Ergriffensein des Künstlers aufgrund metaphysischer Erlebnisse. Er sucht eine dritte, eine zeitlose Ausdrucksweise, deren Kriterien nicht an die Zeitstrecke und schon gar nicht an das Tagesgeschehen gebunden sind.
 

Ausschnitt (Grosser Sommerstrauss mit Nelken) Die Wechselwirkungen zwischen theoretischem Wissen und technischem Können zeigen seit den Sechzigerjahren zunehmend ihre Wirkung. Der Alltag im Atelier bringt praktische und meditative Erfahrungen, die zur Differenzierung früherer Formulierungen führen, während die philosophischen Reflexionen im Malprozess selbst wieder geprüft werden. In diesem synergetischen Prozess beschleunigt sich seine Malweise und verdichtet sich der künstlerische Gehalt seiner Gemälde: er malt mehr und besser. Und er hat Verkaufserfolge, die wiederum seine Schaffenskraft beflügeln.
 

Zitrone auf Barock-Zinnteller Gelegentliche Ausstellungen in mehreren Städten der Schweiz und Süddeutschlands sowie in den Sechzigerjahren eine weitere in Paris und eine in New York bringen ihm zwar persönliche, nicht aber die offizielle Anerkennung. Der Name Egon von Vietinghoff wird allenfalls in kurzen, teils fehlerhaften Pflichtzeilen einiger Malerlexika erwähnt. Er wird weder gefördert noch offiziell ausgestellt und zu Sammelausstellungen wird er schon lange nicht mehr eingeladen (obwohl er gemäß Statuten das Recht dazu gehabt hätte).
 

Roter Krug mit Trauben und Walnüssen Seine Anfragen werden refüsiert oder ignoriert. Halböffentlich zugängliche Bilder hängen in mehreren Restaurants und Hotels, alle anderen sind in Privatbesitz. Allen Anfechtungen und Widerständen zum Trotz vermag er nach und nach vom Erlös seiner Bilder zu leben, denn er wird zunehmend unter privaten Kunstliebhabern weiterempfohlen, und viele Bilder verkauft er selber in seinem Atelier, manchmal noch nicht einmal ganz trocken direkt von der Staffelei. Damit ist er von Galerien etwas unabhängiger.
 

Kirschen auf goldgelbem Grund In der zweiten Hälfte seines Lebens malt Vietinghoff drei Viertel seiner Bilder, denn nun beherrscht er seine Technik. Bei seinen Ansprüchen hat er längst eingesehen, dass er Farben selbst produzieren und Malgründe selber herstellen muss, um die erforderliche Qualität und gewünschte Wirkung erzielen zu können. Die angebotene Industrieware ist für seine Malweise nicht tauglich. Mit unvermeidlichem Einsatz anorganischer Pigmente, jedoch bei Verwendung möglichst reiner Naturstoffe entstehen vom ersten Handgriff an Werke, die durch unverwechselbare Wärme, natürliche Frische und unverfälschte Leuchtkraft faszinieren.
 

Tauben auf dem Balkongeländer Obwohl er über 50% seiner Energien in die handwerklichen Vorbereitungen steckt, erlauben ihm Erfahrung und Virtuosität in seiner intensivsten Phase von 1964-1974 im Jahresdurchschnitt unglaubliche 75 Gemälde zu schaffen – neben dem Einkauf von Früchten und Materialien, Schreiben an den Manuskripten, Urlaubsreisen und Briefmarken sammeln. Stets beeindruckt er durch seine enorme Intensität, selbst wenn er sich ganz still in eine Lektüre vertieft, auf dem Balkon mit den Vögeln spricht oder bei einem Teller mit Spaghetti über den Tagesablauf nachdenkt
 

Westbühlstr. 40 im Neubühl Mit 86 legt er den Pinsel nach 70 Jahren aktiver künstlerischer Arbeit bewusst aus der Hand und verbringt weitere fünf Jahre bei erstaunlich guter Gesundheit zu Hause – immerhin rauchte er etwa 75 Jahre lang täglich 10-50 Zigaretten und zwar den größeren Teil davon ohne Filter!

Sein hohes Alter lässt ihn noch einige Früchte seines Lebenswerks sehen: 1989 die Gründung der Egon von Vietinghoff-Stiftung, 1990 den von ihm selbst finanzierten, hochwertig gedruckten Bildband der Sammlung von 64 Gemälden im Besitze der Stiftung und 1991 die zweite Auflage des Handbuchs zur Technik der Malerei.
 

Bildkatalog der Stiftungssammlung S. 70-71, Blumen, Birnen und Trauben Bei seinem Tod im 92. Lebensjahr hinterlässt er (abgesehen von Zeichnungen und Radierungen) ein Lebenswerk von 2.750 Gemälden, entstanden in mehrschichtiger Öl-Harz-Malerei, einem spezifisch europäischen Kulturerbe.

Es sind Zeugnisse verloren geglaubter Malkunst, Bilder von zeitlosem Wert.
 

linke Pflaume In seiner Todesanzeige liest man:

Egon von Vietinghoff hat diese Welt verlasseen, in seinen Werken lebt er weiter.

 
     
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