Technik
Die Wiederentdeckung eines europäischen Kulturerbes
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Autodidaktische Studien und Experimente
Vietinghoff entdeckt in 35 (!) Jahren autodidaktischen Experimentierens das Wissen, das in Fachbüchern und an Akademien nicht mehr gelehrt wird: Die Impressionisten hatten mit der Tradition gebrochen und nach neuen Theorien eigene Malweisen entwickelten. So waren die Kenntnisse mehrschichtiger Öl-Harz-Technik in Vergessenheit geraten.
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Erst in der Mitte seines Lebens, nach vielen Rückschlägen, hat er diese Technik rekonstruiert. Sie ist Voraussetzung und Grundlage für den Stil seiner reiferen Schaffensphasen.
Auf seinen intensiven Studien der Alten Meister und Jahrzehnte langem eigenem Erproben basieren sein einmaliges Können und sein unverwechselbarer Ausdruck sowie seine Kompetenz als Autor. |
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Mehrschichtige Öl-Harz-Malerei
Bei mehrschichtiger Malweise werden zwei oder mehrere Farben getrennt übereinander gelegt. Damit sie (anders als bei der Alla prima- oder Nass-in-Nass-Malerei) getrennt bleiben, muss die untere Farbe trocken sein bzw. müssen beide Schichten einander trennende Bindemittel enthalten. Dafür wurden in einigen Ländern Europas spezifische Verfahren als Voraussetzung malerischer Virtuosität entwickelt. Die Grundlage bilden Harze und Öle als Träger der Farbpigmente. Die Öl-Harz-Malerei ist ein unverwechselbar europäisches Kulturgut.
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Es können mehrere einigermaßen flüssige Farbaufträge (Lasuren) dick, halbdeckend oder durchscheinend übereinander liegen.
Das bewirkt Lichtreflexionen auf mehreren Ebenen, womit Farbdifferenzierungen und eine Tiefenwirkung entstehen, die bei einschichtiger oder Nass-in-Nass-Malerei nicht zu erreichen sind. Die erzielte Plastizität entsteht aus dem Farbauftrag selbst und bedarf keiner auffälligen Perspektiven in der Bildkomposition, um eine optische Tiefe entstehen zu lassen. Auf diesen Kenntnissen basieren die farbliche Tiefe und Leuchtkraft, die für Vietinghoffs Bilder so typisch sind. |
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Eigenproduktion und Handwerk
E. v. V. erkennt bald, dass er mit den erhältlichen, nämlich vermehrt industriell produzierten Farben seine inneren Bilder und künstlerischen Ansprüche nicht zu seiner Zufriedenheit wiedergeben kann.
Seine differenzierte, visionäre d.h. transzendierende Sehweise verlangt nach einer Maltechnik, die nur mit ausgesuchten, vorwiegend natürlichen und sorgfältig verarbeiteten Substanzen erreicht werden kann. |
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Infolgedessen stellt er seine Farben selber her. Die dazu erforderlichen Bindemittel setzt er ebenfalls selber an. Er steht Stunden lang am Werktisch und reibt mit einem schweren Stein die Farben auf der Glasplatte an. Diese teilweise körperlich anstrengende Arbeit hält ihn aber auch lange fit.
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Er kocht Naturleim und alte, weiche Leinwände, spannt sie auf Keilrahmen oder klebt sie auf Spanplatten, die er selbst zurechtsägt.
Es folgen bis zu 7 Grundierungen und das Abschleifen, die Tönung sowie das Isolieren des Malgrundes. Insgesamt verbrauchen diese handwerklichen Vorbereitungen mindestens die Hälfte seiner Zeit, bis er endlich zum Malen kommt. |
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Indem er die einzelnen Vorgänge bei der Herstellung des Malgrunds, der Farbsubstanzen und des Firnis selber ausführt, ist er schon in jeder Vorbereitungsphase eines Bildes im Geiste mit der späteren Auswirkung seiner Werkstoffe auf den Gesamteindruck eines Gemäldes beschäftigt.
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Ohne solch enormen Aufwand fehlten seinen Öl-Gemälden die entscheidenden Eigenschaften:
Die überzeugende Frische, die tiefe Farbkraft und der natürliche Glanz. Seine Bilder sind die gelungene Synthese von künstlerischer Vision und handwerklichen Fertigkeiten. Handwerk und künstlerische Absicht führen gemeinsam hin zu in sich abgerundeten Kunst-Werken. |
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Werkstoffe aus der Natur
Wesentlich für die so natürliche Wirkung seiner Bilder sind die möglichst reinen Naturprodukte bei der Herstellung von Bindemitteln und Farben. Es sind die organischen Zutaten Ei, Kasein, Lein- und Mohnöl, Lederleim, Kirschgummi, Gummi arabicum, Lärchenterpentin, fossiles Harz, Wachs sowie verschiedene Erden.
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Auch wenn er für gewisse Farben auf chemische Pigmente nicht ganz verzichten kann, entstehen so Egon v. Vietinghoffs charakteristische Farben, die exakt auf die gewünschte Wirkung hin gemischt sind und auf deren Eigenschaften und Haltbarkeit er sich verlassen kann.
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Das Handbuch – die gesammelten Erfahrungen
1983 (2. Auflage 1991) erscheint im DuMont Verlag sein Handbuch zur Technik der Malerei.
Hier bringt Egon von Vietinghoff die Summe lebenslanger Werkerfahrungen ein. Er definiert die Transparenz (Transluzenz) der Farbe – eine in der Literatur bislang unbeachtet gebliebene Eigenschaft – und setzt sich mit der Farbenlehre aus der Sicht des schaffenden Künstlers auseinander. Er gibt praktische Hinweise zu Farbproduktion, Pinselführung und zum Bildaufbau mit Beispielen bekannter Meister und eigener Gemälde u.v.a.m. Damit hat er das verlorene Wissensgut der traditionellen Öl-Harz-Maltechnik, ein spezifisch europäisches Kulturerbe, nachfolgenden Malergenerationen wieder verfügbar gemacht. |
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