Naturalismus ?
Das Wesen der bildenden Kunst (Manuskript)

 

Vietinghoff – der Mystiker und seine Zeitgenossen

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Vietinghoff – der Mystiker und seine Zeitgenossen

Vorwärts-Ausgabe vom 9. November 1918 Geburt und künstlerisches Erwachen Vietinghoffs fiel in die Zeit verschiedener Revolutionen. Namentlich politisch-sozialer (auch in Folge des 1. Weltkrieges) sowie des Zusammenbruchs der Jahrhunderte alten Monarchien in der kurzen Zeit von 1910-1924 in Deutschland, Portugal, Griechenland und in den Vielvölkerstaaten China, Mongolei, Russland, Österreich-Ungarn (einschließlich Tschechei, Slowakei und Balkan) sowie des Osmanischen Reichs (heutige Türkei, Syrien, Libanon). Gerade auch in den beiden Ländern Deutschland und Russland, die in der Familiengeschichte der Vietinghoffs so bestimmend sind.

Musik und Literatur waren in seinem Leben schon durch Vater und Mutter mit ihren ausgeprägten Persönlichkeiten "besetzt", während der sinnenfreudige Sohn in jugendlichem Aufbruch in der Malerei ein einladendes Feld fand. Es wurde auch von vielen anderen sensiblen und kreativen Geistern der Zeit aufgesucht, denn die Künste waren in ebenso fundamentalem Umbruch wie das politisch-soziale Gefüge.
 

Dadaismus Gedenktafel, Spiegelgasse 1, Zürich Der junge Egon wurde mit einer verwirrenden Vielzahl von "Ismen" konfrontiert, die dem Laien heute kaum noch geläufig sind, nämlich Alogismus, Fauvismus, Futurismus, Konkretismus, Konstruktivismus, Minimalismus, Neo-Plastizismus, Orphismus, Projektionismus, Primitivismus, Rayonismus, Simultanismus, Suprematismus, Symbolismus, Tachismus, Tubularismus und Vibrationismus. Später wurden noch weitere erfunden. In heutiger Allgemeinbildung sind von allen Richtungen nach dem Impressionismus eigentlich nur der Kubismus, Dadaismus, Expressionismus sowie der Surrealismus nachhaltig hängen geblieben.

Diese und weitere Richtungen wie z.B. die Archipentura, die Metaphysische Malerei oder der Magische Realismus waren Vorschläge, vorübergehende Erscheinungen, Fragmente und ideologische Aufspaltungen, die Vietinghoff wie Modetrends, Sackgassen und Hirngespinste vorkamen.
 

Paul Cézanne, Mont Sainte-Victoire (1904-06), Kunsthaus Zürich Vergleicht man seine Werke mit denen der Zeitgenossen, ist kein gemeinsamer Nenner vorstellbar, ohne die damalige Stimmung zu erfassen. Die gemeinsame Wurzel der genannten Kunstströmungen, einschließlich Vietinghoffs Weg, ist die Einsicht, dass die Malkunst nach den Phasen des Klassizismus, der Romantik, des akademischnm Realismus und des dogmatisierten Impressionismus des 19. Jh.s sowohl philosophischer als auch gestalterischer Erneuerung bedurften – und zwar grundsätzlich. Wie radikal, ob Bestehendes (wie z.B. den Cézannismus) nur modifizierend oder ob Gegenständlichkeit völlig ablehnend, hing letztlich von der einzelnen Künstlerpersönlichkeit ab.
 

Wassily Kandinsky, Romantische Landschaft (1911), Städtische Galerie im Lenbachhaus, München Der dennoch vorhandene, allerdings etwas verborgene gemeinsame Nenner der Vorstellungen und Bedürfnisse Egon von Vietinghoffs und der seiner Zeitgenossen liegt in der Forderung nach Ursprung und Reinheit sowie nach Befreiung von Ballast, der Spontaneität behindert und Wahrheit verstellt.

Kandinsky, Malewitsch, Delaunay, Klee, Mondrian und Itten sprachen von "reiner Wirklichkeit", "reiner Energie", "reinen Farben", "reinen Kompositionen" und "reinen Visionen" – und Vietinghoff formuliert die Schule reinen Schauens.
 

Francisco de Goya, Die Gräfin von Chinchon (1800), Prado, Madrid Zwei gleichermaßen bedeutende Umstände lenkten sein Interesse in eine andere Richtung als in die der damaligen Avantgarde. Erstens – mit negativem Vorzeichen – waren die Versuche zum Ausweg aus der Jahrzehnte langen Krise der Malerei sowohl hinsichtlich der Debatten als auch der daraus entstehenden Produkte für ihn völlig unbefriedigend und verworren. Zweitens – mit positivem Vorzeichen – war er fasziniert von den maltechnisch höchst entwickelten Werken einer Reihe von Genies der europäischen Maltradition, deren letzte wahre Größen er in Goya und Turner sah.

Die meisten Betrachter glauben in Vietinghoffs Zuwendung zu den Alten Meistern eine bloße Rückwärtsbewegung zu "guten alten Zeiten" feststellen zu können. Insofern er nicht gewillt war, dadaistischen Schabernack mitzumachen oder sich unter das Diktat einer kurzlebigen Theorie zu stellen, mag dies zutreffen. Es ist jedoch insofern ein großer Irrtum als er sich nicht bedingungslos der Vergangenheit verschrieb und selbst den besten Malern unterschiedlicher Blütezeiten nicht kritiklos gegenüberstand. Er unterschied sehr wohl geniale Würfe von gezähmten Auftragsarbeiten, Werke des Meisters von denen seiner Schüler und von Werkstattprodukten, die Sensibilität einer Skizze von der Kraftlosigkeit einer nachfolgenden großflächigen Ausführung, unterschiedliche künstlerische Tiefe jugendlicher und reifer Phasen, echte von nur zugeschriebenen Gemälden.
 

Unbekannter Maler, Der Mann mit dem Goldhelm (1650-1655), Gemäldegalerie Berlin Schon Jahrzehnte bevor nach aufwändigen wissenschaftlichen Untersuchungen der Berliner "Mann mit dem Goldhelm" erst 1986 aus Rembrandts Oeuvrekatalog gestrichen wurde, erkannte Vietinghoffs unbestechliches Sensorium für visionäre – d.h. meditative, transzendentale – Kunst, dass dieses Gemälde nicht vom großen Meister gemalt sein konnte. Er vertiefte sich mehrmals visuell in das Werk und vollzog den Duktus der Pinselstriche innerlich nach, um festzustellen, dass es nicht den Geist des Genies atmet – dazu brauchte er keine kostspieligen Analysen mit modernem technischem Gerät und keine historischen Vergleiche von Helmen. Für ihn war die Aberkennung als Werk Rembrandts also überhaupt keine Sensation.

Vietinghoff interessierten nicht die Kategorien "alt" oder "neu", historisch oder progressiv, sondern das visuelle Ergriffensein des Künstlers aufgrund metaphysischer Erlebnisse. Damit gemeint ist die rein intuitive und ausschließlich aufs Farbenspiel bezogene Phantasie, zu deren adäquater Umsetzung eine gekonnte Pinselführung die handwerkliche Voraussetzung ist.

Zu allen Zeiten gab es "tiefe" und "flache" Kunstwerke, in seinen Worten "visionäre" und "nicht-visionäre", d.h. "von innen geschaute" oder naturalistische, von Phantasie durchströmte oder geistlose, durch mystische Einblicke inspirierte oder von bloßen Äußerlichkeiten bestimmte.
 

Walnüsse Im Hin und Her zwischen Alt und Neu suchte er eine – soweit wie möglich – zeitlose dritte Möglichkeit, deren Kriterien nicht an die Zeitstrecke gebunden sind. Seine meditativen Erlebnisse auf der Ebene eines malenden Mystikers vermittelten ihm transzendentale Maßstäbe, die außerhalb der Kategorie Zeit liegen. Sie halfen ihm Werke anderer als unbedarft oder seicht zu entlarven, als bewusst täuschend oder aus merkantilen Absichten geboren. Wenn beispielsweise monotone oder nüchterne Bilder durch bedeutsame Titel, welche die Begriffe "Metaphysik" oder "metaphysisch" beinhalten, aufgewertet werden sollen, wenn Zeitungscollagen und solche aus Küchenbesteck oder in Plastik gegossene menschliche Exkremente als Kunstwerke ausgestellt werden, wenn des Künstlers Persönlichkeitskult zum eigentlichen Thema wird.
 

Erdbeeren Es ist nicht Vietinghoffs Art, zu imitieren, zu schockieren oder das Publikum hinters Licht zu führen – mit anderen Worten, einen leichten Weg zu gehen. Über einen Plakat-Text für einen russischen Dada-Abend, an dem statt Verse vorgetragen "poet-metalogische Rekorde dynamo-deklamiert" werden, konnte er nur lachen. Er hatte andere Ansprüche als durch Verfremdung und witzige Einfälle die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
 

Carlo Carrà Nicht alles was sich "metaphysisch" nennt, ist es wirklich, und das, was das Etikett "mystisch" beansprucht, kokettiert oft nur damit und bleibt eher im Mysteriösen. Eine weitere Parallele zu einem anderen Zeitgenossen Vietinghoffs ist nennenswert: Die angestrebte transzendentale Malerei von Giorgio de Chirico (1888-1978) und die anschließende Kehrtwendung in seinem Schaffen. Der u.a. von Arnold Böcklin und Friedrich Nietzsche inspirierte Maler gilt als Wegbereiter des Surrealismus, indem er ab 1911 die "Metaphysische Malerei" entwickelte und 1917 zusammen mit dem Futuristen Carlo Carrà (1881-1966) die "Metaphysische Schule" gründete. Doch sie dauerte wegen Meinungsverschiedenheiten der beiden nur bis 1920. Kann Kunst mit einem solchem Anspruch von persönlichen Differenzen abhängig sein?
 

Giorgio de Chirico (1936) Foto Carl van Vechten, Slg. Van Vechten, Congress Library, Washington In der Zeit von 1924 bis 1932/33 hielten sich Vietinghoff und de Chirico gleichzeitig in Paris auf und sind sich begegnet. Wir können nur ahnen, welcher Art ihre Diskussionen über Malerei und Metaphysik bei den Künstlertreffen in den einschlägigen Cafés verlaufen sein könnten, selbst wenn wir berücksichtigen, dass der 15 Jahre ältere Giorgio de Chirico damals schon ein bekannter Mann und Egon von Vietinghoff noch in seinen Anfängen war.

Trotz aller verbindenden Unzufriedenheit mit der damaligen Weltlage und dem gemeinsamen Wunsch nach Besinnung auf Wesentliches, so auch in der Kunst, sind die Unterschiede zwischen den beiden Künstlerkollegen de Chirico und Vietinghoff markant. Der Italiener wollte(!) mit eigen-willigen Perspektiven, ungewohnten Licht-Schatten-Verhältnissen und düsterem Himmel über eigentümlich kahler Architektur absichtlich eine verfremdete Welt darstellen. Oft unterstrich er den "metaphysischen" Charakter der bühnenähnlichen Szenen durch Titel wie "Die Nostalgie des Unendlichen", "Das Rätsel der Stunde", "Metaphysisches Interieur" oder "Melancholie und Geheimnis einer Straße", die wir hier wegen des Copyrigths leider nicht abbilden dürfen. Wenn nicht menschenleer, so zeigen typische Bilder de Chiricos den durch den Ersten Weltkrieg und die Jahre danach von der Welt entfremdeten und verlorenen Menschen wiederholt als gesichtslose hölzerne Gliederpuppe, oft mit symbolischen Requisiten wie Uhren in rätselhafter, etwas gespenstischer Atmosphäre. Dieser Effekt sollte an den metaphysischen und transzendentalen Aspekt des Lebens erinnern.
 

Giorgio de Chirico, Signatur Eines der wesentlichen Merkmale eines Mystikers ist jedoch seine unmittelbare, im weitesten Sinne kosmisch-religiöse Erfahrung (!), die nicht kognitiven, willentlichen Ursprungs ist. De Chirico wendet sich 1930 von dieser Richtung und – wie Vietinghoff und andere auch – von anderen Kunstströmungen gänzlich ab und kommt auf die italienische Vergangenheit zurück. Er widmet sich intensiv dem Stillleben, Porträts, mythologischen Themen und Bildern mit Pferden – ja, er wird sogar ein scharfer Kritiker der modernen Kunst, ebenso wie Vietinghoff. Da de Chirico von seinen weniger spektakulären, gegenständlichen Bildern in eher traditioneller Manier jedoch nicht leben konnte, kopierte und verkaufte er auch später noch Werke seiner viel mehr beachteten "Metaphysischen Malerei". Carlo Carrà entwickelte hingegen aus den gemeinsamen Erfolgen seinen "Magischen Realismus".
 

Michail Matjuschin, Landschaft (1921, Aquarell) Von 1919 bis 1926 machte Michail Matjuschin (1861-1934) Wahrnehmungsexperimente, die er "erweitertes Sehen" nannte. Mit seinen Übungen wollte er die Augen derart trainieren, dass sie unabhängig von einander bewegt werden können. Dann wäre es dem Künstler möglich, gleichzeitig in zwei unterschiedliche Richtungen zu schauen und damit "die kosmische und richtungslose Natur des Raums" zu erfassen. Er erfand Geräte um die Grenzen visueller Wahrnehmungsfähigkeit zu erweitern und zu einem neuen Erlebnis von räumlicher Tiefe und von Bewegung vorzustoßen.

Dies entspringt einem vordergründigen Weltbild; die Beschränktheit menschlichen Horizonts zu überwinden wird mechanisch-physiologisch angegangen.
 

Aldous Huxley Um 1950 führte Aldous Huxley kontrollierte Wahrnehmungsexperimente unter Meskalin-Einfluss durch ("Die Pforten der Wahrnehmung", 1954). Vietinghoff nimmt die Beschreibungen äußerst interessiert auf und findet bestätigende Parallelen zu eigenen Erfahrungen. Dennoch hatte er keinen Hang psychedelische Zustände künstlich herbeizuführen, um seine Sichtweise zu vertiefen, er empfiehlt keine Drogen zur Bewusstseinserweiterung. Auch diese Methode, die Enge alltäglicher Wahrnehmung hinter sich zu lassen, war nicht seinem Wesen gemäß – er fand eine sanftere Methode, eine im weitesten Sinne meditative.
 

Egon von Vietinghoff, 1986 Vietinghoffs Weg führt über eine kontemplative Sehdisziplin, der von ihm formulierten "Schule reinen Schauens", zur "Visionären Malerei". Er geht dabei ohne Einwirkung von außen durch einen organischen und sehr verinnerlichten Prozess.

Mit der richtigen Mischung von Konzentration und Gelassenheit, auf den metaphysischen Grund der Existenz vertrauend, baut er ein Energiefeld der Empfangsbereitschaft auf, das ihn in eine wartende, quasi mediale Aufmerksamkeit versetzt.
 

Fischchen in Glasschale Mit einer spezifischen Einstellung des Augenfokus löst Egon von Vietinghoff die übliche profane Sehgewohnheit auf, ohne Fremdeinwirkung oder Forcierung, und schafft eine Verbindung zur nicht-rationalen (metaphysischen) Dimension der Existenz, eine Verbindung, die sich ihm aufgrund innerer Sammlung eröffnet. In kleinem und spielerischem Rahmen kennen wir solche visuellen Phänomene beim Auflösen eines Vexierbildes, dem oft ein längeres "willenloses" und entspanntes Anschauen vorausgeht. Der Vergleich soll aufzeigen, dass sowohl beim Betrachten eines Sujets als auch eines Vexierbildes nur eine quasi meditative Haltung dazu führt, das "Verborgene" zu sehen, während Anspannung, Wille und Akribie nicht dazu verhelfen.
 

Glasreflex und Fischrücken Das Vexierbild ist aus Spieltrieb oder aus Neugier entstanden und dient zur Unterhaltung oder als Wahrnehmungstest. Was hingegen inspirierte Maler anhand eines Sujets kontemplativ erschauen können, ist jene im Sichtbaren "versteckte" andere Dimension. Als eine von Menschen nicht erfundene Wahrheit ist sie dem Spiel und der Unterhaltung übergeordnet. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen konnte Vietinghoff klar erkennen, wo sie am Werke, am Kunstwerk war.

Es gibt Menschen mit leichtem Zugang zu Vexierbildern und andere sehen sie auch nach langer Betrachtung nicht. Und wir wissen, dass man sie mit gewollter Anstrengung nicht leichter oder schneller sehen kann. Früher oder später macht es bei den meisten "klick" und sie erkennen, was immer schon da war, sie aber mit dem normalen Augenfokus, mit Verkrampfung und Ungeduld nicht fähig waren zu sehen. Es gibt vielleicht vier Möglichkeiten, solche verborgenen Bilder sichtbar zu machen: Entweder geschieht es spontan und von selbst oder man lernt seinen Blick auf bestimmte Weise zu verändern oder man schaut so lange absichtslos darauf bis sich das Bild wandelt oder jemand malt einem die Linien und Flächen, die zusammengehören, bunt an, damit das gesuchte Bild offensichtlich wird.
 

Maritta mit rotgemustertem Schultertuch vor gelbem Hintergrund (dritte Ehefrau) Im Falle medialer Kontemplation zwecks metaphysischer Einsichten sind natürlich nur die ersten drei Möglichkeiten vorhanden und diese können sich auch abwechseln oder ergänzen. Wenn die Verwandlung des Blicks auf die Realität sich nicht spontan in eine Vision wandelt und die Muse nicht sofort küsst, dann hilft es, sich ganz leer zu machen, hingebungsvoll sich zu öffnen und sich in ein erwartungsloses Schauen zu versetzen.

Dies alles kann von bestimmten Sehübungen begleitet sein, bis sich die Intuition aus einem Energiefeld entspannter Aufmerksamkeit erhebt
, sich der visionäre Blick einstellt und "spontane" – d.h. unbeabsichtigte und schnell abfolgende – visuelle Erlebnisse auftreten. Ein anderes Mal kann es sein, dass begleitende Sehübungen die zuerst spontan erschienene Vision helfen aufrecht zu erhalten und zeitlich zu verlängern.
 

Schal (Detail 3) Vietinghoff macht also alle ihm möglichen Vorbereitungen, von der eigenen Herstellung der Farben bis hin zur Beruhigung des Geistes. Damit "bestellt er seinen Acker" – das "Wetter" kann er nicht beeinflussen, die Erscheinung der Natur nicht manipulieren. Er maßt sich nichts an, er stellt bloß die Verbindung zu einer anderen Seite des Lebens her. Dann empfängt er über farbliche Visionen Einblicke in das, was durch Menschen nicht geschaffen wurde und von Menschen auch nie ausgedacht oder neu erfunden werden kann. Es gilt nur zu ent-decken d.h. die Scheuklappen täglicher Wahrnehmung abzulegen und den Schleier vor dem Blick fallen zu lassen. Dann erkennt man hinter der Sichtblende des Alltags das Wesen der Existenz, Kants "Ding an sich".
 

Apfel Alles andere – einschließlich besagter "Ismen" – lehnt Egon von Vietinghoff als Grundlage eines echten Kunstwerks ab. Zerstückeln und Verformen bestehender Formen sind für ihn vergewaltigende und keine kreativen Akte, sind ein Vergehen an der Natur. Aus Unwissenheit oder Selbstherrlichkeit begangen haben sie letztlich blasphemischen Charakter und manifestieren nur die Probleme des Autors.

Vietinghoffs Kunst ist also keine psychologische, sondern eine kosmische, keine auf das Individuum und seine Gesellschaft fokussierte, sondern eine am Metaphysischen orientierte. Sie ist dadurch zwar zeitlos, aber auf Grund ihrer existentiellen Dimension jederzeit aktuell. Diese Kunst bezieht sich nicht auf das Tagesgeschehen und ist dennoch nicht verstaubt.
 

Radieschen auf schwarzem Grund Die Vorwürfe an Vietinghoffs Kunst, sie sei nicht zeitgemäß, rühren aus völliger Unkenntnis seines mystischen Ansatzes. Diese Art der Kritik trifft insofern daneben, als Kosmisches und Metaphysisches jederzeit eine permanente Aktualität besitzen – ob man darum weiß oder nicht. Wahre Mystiker waren niemals "zeitgemäß". Eine übergeordnete, nicht mit weltlichen Informationen befrachtete Wahrheit erreicht den Betrachter, wenngleich unterschwellig.

Über die Brücke meist schlichter Naturobjekte und mittels einer nachvollziehbaren Farbsprache wird der Betrachter von Vietinghoffs Bildern berührt, die in meditativer Schau entstanden. Leuchtende Farben, warme Natürlichkeit, ausstrahlende Harmonie, gesammelte Ruhe, faszinierende Räumlichkeit, heitere Details und meisterliche Technik – das kann man bei längerem Betrachten seiner Gemälde meistens alles selber entdecken und teilweise auch verbalisieren.
 
     
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