Erinnerungen
Ich war damals noch sehr mit meiner Ausbildung beschäftigt und verkaufte sehr wenig, teils weil ich das was mir vorschwebte noch nicht erreicht hatte, teils weil es in Paris für einen Maler, der sich noch keinen Namen gemacht hatte, sehr schwer war Bilder zu verkaufen. Ausser durch vereinzelte Portraitaufträge hielt ich mich und (später) meine Familie durch Nebenverdienste über Wasser, die ich mit allen möglichen Beschäftigungen machte, die mir aber im Verhältnis zur Zeit, die ich damit verlor, wenig einbrachten.
Ich illustrierte Schundromane die mir eine benachbarte Hinterhofdruckerei lieferte, malte auf riesigen Goldgründen (die mir geliefert wurden, weil ich ein grosses Atelier hatte) chinesische Jagden und Erdkarten mit den Tieren und Trachten, die in den verschiedenen Erdteilen vorkamen, oder retuschierte und verwandelte Photographien oder arbeitete (sogar) kurze Zeit in einer Autogarage und fabrizierte Hüte nach einer Mode, die meine Frau erfunden hatte und überhaupt nahm jede sich bietende Gelegenheit wahr, die sich mir bot, etwas Geld einzubringen. Ausgiebiger war meine Retuschierarbeit, die ich an Frauenporträts ausübte. Sie bestand darin, dass ich Photographien von Frauen, die sich nicht schön genug abgebildet fanden, bis zur Unkenntlichkeit verjüngte bis alle Falten und Fettansammlungen verschwunden waren. |
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Da ich unterdessen einige maltechnische Kenntnisse erworben hatte, wagte ich mich auch mit sehr gutem Erfolg ans Restaurieren beschädigter Ölgemälde. So brachte man mir einmal ein vollständig zerknittertes Bild von Winterhalter, das während des Krieges in einem Rucksack über die Grenze geschmuggelt worden war und das ich tagelang behandelte bis jede Spur von Schäden getilgt war. Dieser Erfolg brachte mir (zwar) andere Restaurierungsaufträge ein, befriedigte mich aber nicht. Die einzige Sicherheit, die ich hatte, war (hingegen) der Besitz des Ateliers, dem ich später, als gewissenlose (und nicht bezahlende) Mieter und Flüchtlingsströme es während des Krieges verwüstet hatten, noch lange nachtrauerte.
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Apollo und die neun Musen
Im Sommer, den ich meistens bei Freunden im Süden verbrachte, vermietete ich mein Atelier an Maler, die sich vorübergehend in Paris aufhielten. Im Jahre 192x *) mietete es ein Brasilianer, der einen staatlichen Auftrag erhalten hatte und froh war einen Raum gefunden zu haben, der gross genug war. Er sollte nämlich für irgendein öffentliches Gebäude in Rio ein überdimensioniertes Bild malen, das Apollo und die 9 Musen darstellte. Das von einer fieberhaften Betriebsamkeit besessene Männchen flitzte wie ein Wiesel umher, blitzte aus lebhaften Augen und trank – wohl um eine nicht vorhandene Trägheit zu bekämpfen – den ganzen Tag über den schwärzesten Kaffé **), den ich je gesehen habe. Wir waren uns sofort einig, ich zog aus und er ein. *) in Frage kommende Jahre: 1924-1927 **) Zweisprachig aufgewachsen, weitere Sprachen sprechend, in vielen Ländern gelebt habend und gereist, stand Egon v.Vietinghoff auf Kriegsfuß mit der Orthographie immer der selben Worte – dazu gehörte das Wort Kaffé, das er hier zur Abwechslung mal mit einem deutschen Stamm und einer französischen Endung verwendet. |
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Tags darauf hatte ich noch etwas mit ihm zu besprechen und suchte ihn auf. Das Atelier war nicht wieder zu erkennen. Mein Mieter hatte es fertiggebracht, über Nacht eine 5 mal 8 Meter grosse Leinwand aufzurichten und mit Hilfe meiner Doppelleiter ein rollendes Fahrgestell zu verfertigen, mit dem er von einem Ende der Riesenleinwand zum anderen schoss. In einer Ecke des Ateliers war kübelweise Farbe aufgestapelt, in einer anderen eine Kafféküche eingerichtet. Das Erstaunlichste aber war, dass er bereits zehn Modelle, einen Mann und neun Frauen aufgetrieben und alle zusammen vor eine Atelierwand aufgestellt hatte, die er mit blauem Papier beklebt hatte. Die sämtlich unbekleideten Musen hoben sich mit ihrem Gebieter vom Azur dieses attischen Himmels ab und warteten darauf durch den Pinsel des brasilianischen Apelles (bedeutendster Maler der Antike) gemeinsam verewigt zu werden.
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Ich war sprachlos. Schon immer haben manche Künstler Einzelstudien nach Natur gemalt bevor sie an die Ausführung eines grossen Bildes gingen, aber auf den irrsinnigen Gedanken zehn Menschen zugleich abzumalen war wohl keiner gekommen.
Ich habe das farbige Bild nie gesehen, denn als ich, wie verabredet, nach zwei Monaten zurückkam, war das Bild bereits abgetakelt, zusammengerollt und verfrachtet, der griechische Himmel und das Fahrgestell im Ofen verbrannt und der Farbhaufen aufgebraucht. |
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Fotomontagen
Meinem Atelier gegenüber wohnte ein dicker Italiener, der es, trotz überbordender Vitalität und Betriebsamkeit, nicht weiter gebracht hatte, als einen schäbigen Verlag zu leiten und unsagbar kitschige Fortsetzungsromane zu verbreiten. Sie waren illustriert und ich hatte die Aufgabe, aus einem Berg von Fotos, Reklamebildern, Ausschnitten aus alten Zeitschriften und Filmen, zum Text passende Fotomontagen zusammenzustellen. Stand z.B. zu lesen: "Als der Knabe das Zimmer betrat, sass die Grossmutter im Lehnstuhl und die Katze schlief in einer Ecke.", so schnitt ich aus dem Wust vorhandener Bilder eine Katze aus, klebte sie auf eine Ecke, verwandelte einen Papagei in eine schlafende Grossmutter (geschickte Retouche kann alles), schnitt einer anderen Gestalt die halben Beine ab und klebte sie, so reduziert, als Halbwüchsigen in die offen stehende Türe einer Möbelfabrikreklame. Dann wurde die Collage fotografiert und mit Retouchiertinte übergangen. |
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Der Italiener betrat mein Atelier immer wie ein staubaufprustender Stier – einmal mit einem kleinen Holländer (gemeint ist ein Öl-Gemälde) aus dem 17. Jahrhundert. Die Bildmitte fehlte, aber an den übriggebliebenen Rändern erkannte man eine gute Malerei. Italienischer Eifer hatte das Bild mit einem alkoholgetränkten Stoffbausch restaurieren wollen und das ganze Mittelstück durch einen einzigen Wischer bis auf den Grund weggeputzt. Ich sollte das fehlende Stück ersetzen. Mein Arbeitgeber erklärte mir, welche Szenen darauf zu sehen gewesen war. Ich malte ihm einige Figuren hin, die bestimmt nichts mit dem Original zu tun hatten, ihm aber so gut gefielen, dass er mit südlicher Grandezza und fürstlicher Gebärde einen Fünfzigfrankenschein aus der Brusttasche zog.
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Auch sonst war er, was die Qualität betraf, leicht zu befriedigen, hingegen war er, was die Quantität betraf, unersättlich. So kam es, dass Zeitnot und Routine mich allmählich verführten, flüchtiger zu arbeiten. Meinem Arbeitgeber fiel das nicht auf. Erst als ich versehentlich zwei Figuren verwechselte, einen Wellensittich ins Bett und ein knapp bekleidetes Mädchen in einen Käfig klebte, fand er es besser, die Szene nochmals zu machen, riet mir aber, die vorhandene Montage aufzubewahren, um sie gegebenenfalls für eine andere Textstelle verwerten zu können.
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Massimo Campigli
Ab und zu wurde in Campiglis*) oder in meinem Atelier gefeiert, wobei etliche Flaschen Wodka geleert wurden. Ich trank am meisten, obgleich ich Alkoholika nicht mochte, weil meine Art betrunken zu sein, beliebt war. *) Mit Massimo Campigli [italienisierter Name des in Berlin geborenen Max Ihlenfeld, Mutter Italienerin, 1895-1971] war Vietinghoff damals gut befreundet, obwohl er von seiner Kunst nicht so viel hielt: "... Campigli, der mit seinen Corsettfrauen al fesco die Prunkräume der italienischen Transatlantikschiffe ausmalte ..." |
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M.C., damals noch unbekannt, später weltberühmt, hatte ein grosses Atelier, das durch eine teilweise verglaste Zwischenwand zweigeteilt war. Der kleinere Teil diente als Küche, Abstell- und Waschraum. Auf dieser Seite waren Bretter an der Trennungswand angebracht, auf denen sich Mal- und Küchenutensilien türmten, was zu häufigen Verwechslungen Anlass gab. Während M.C. sich den Appetit nicht verderben liess, wenn er Fische mit Zinkweiss panierte, ärgerte er sich masslos, wenn mit Mehl die Leinwandgrundierung misslang.
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Sein Atelier wurde gerne zu nächtlichen Gelagen verwendet, weil Platz und Alkohol reichlich vorhanden waren. Der einzige sehr lästige Nachteil war, dass alle Viertelstunden das Licht ausging, weil ein Zweisousstück, das oft fehlte, in den Gaszähler geworfen werden sollte. Um diesem Ärger abzuhelfen, erfand M.C. ein kompliziertes Verfahren, das aneinander befestigte Zweisousstücke beliebig oft verwendbar machte. Das Atelier war wieder beleuchtet, bis eines Tages der Gaskontrolleur die Sache entdeckte und, die Genialität des Einfalls ehrlich bewundernd, seinen Erfinder büsste.
An einem dieser Abende hatten wir Bacchus reichlich zugesprochen, was nicht jedem Charakter bekömmlich war. So standen sich in der Mitte des Ateliers ein baumlanger Schwede und ein etwas femininer Spanier gegenüber. Der Schwede war rot angelaufen und das nach damaliger Mode um den Mund ausrasierte Schnurrbärtchen des Spaniers zitterte bedenklich. Sie waren so wütend in eine Diskussion verbissen, dass ich den Augenblick kommen sah, in dem sie übereinander herfallen würden. Um Frieden zu erzwingen, stellte ich mich zwischen sie und gab jedem einen tüchtigen Schubs. Der Schwedenriese fiel nur um einige Schritte zurück, der Spanier aber torkelte armfuchtelnd rückwärts durch den ganzen Raum, bis er in das eben fertig gekochte Risotto zu sitzen kam. Durch lautes Geheul gab er seiner misslichen Lage Ausdruck. Ob er durch diesen Zwischenfall endgültig feminin blieb, ist unbekannt. |
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Sehr irritierte mich an jenem Abend die Türe der verglasten Zwischenwand. Wenn ich sie zuschlug, klirrte es, als ob sie in tausend Scherben zersprungen wäre – und doch war sie ganz geblieben. Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, passierte ich die Türe nochmals und schlug sie noch kräftiger zu. Die gleiche Wirkung: das Klirren zerbrochener Scheiben, aber unversehrte Glaswand. Ich liebte es schon damals nicht, mit Dingen konfrontiert zu werden, die ich nicht erfasste und wiederholte das Experiment noch ein paar Mal, ohne einer Erklärung näher zu kommen. Tagsdarauf eröffnete mir M.C. belustigt, ich hätte das ganze Geschirr zerschlagen, das auf den Regalen der Zwischenwand aufgestellt war.
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Einen Kater hatte ich nach solchen Festlichkeiten nie. Es genügte, meinen Kopf unter die Kaltwasserleitung zu halten, um alle unangenehmen Folgen des Rausches zu verscheuchen. Bei einem Familienfest in Berlin ging ich im Frack unter die Dusche und festete (von franz. "fêter" = feiern) pudelnass zur allgemeinen Belustigung weiter (...) Solche Exzesse waren aber Ausnahmen. Im Allgemeinen bemühte ich mich nicht aufzufallen und kein Aufsehen zu erregen. Ich habe nie Künstlerkravatten und Samthosen getragen, sondern begnügte mich mit dem damals üblichen runden steifen Filzhut, dem "chapeau melon" und bei festlichen Gelegenheiten Frack und "chapeau claque". Die Mode barhäuptig zu bleiben kam erst später auf.
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Métro
Eines der schönsten Erlebnisse verdanke ich der Pariser Metro. Vor mir stand im üblichen Gedränge ein Mädchen, das sich an der Messingstange festhielt, die zu diesem Zwecke der Fensterfront entlangläuft. Ihre Hand, eine kleine, schmale, weissbehandschuhte Hand, faszinierte mich. Es ging ein solcher Zauber von ihr aus und eine so unwiderstehliche Anziehungskraft, dass ich nicht anders konnte, als meine Hand behutsam auf die ihre zu legen. |
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Sie zuckte kaum. Den Bruchteil einer Sekunde streifte mich ihr Blick, dann liess sie ihre Hand vertrauensvoll liegen und ich spürte an dieser Hand, die ich umschlossen hielt, wie meine Zutraulichkeit auch ihr stilles Vergnügen bereitete.
Es flogen viele Stationen vorbei, dann wurden wir getrennt, von der einströmenden Menge oder weil einer von uns aussteigen musste – ich weiss es nicht mehr, aber der zarte Duft dieses jungfräulichen Erlebnisses ist geblieben. |
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Der Alltag
Auf meinen nächtlichen Heimwegen musste ich ein schlechtes Viertel durchqueren und war oft Zeuge widerlicher Schlägereien, die mich seelisch belasteten, weil ich mir nicht schlüssig war, ob meine Pflicht gebot, dem Schwächeren zu Hilfe zu eilen oder mich aus der Schlägerei herauszuhalten. Jugendlicher Mut und die Angst zusammengeschlagen zu werden kämpften erbittert um mein Gewissen. Durch zwei Zwischenfälle wurde ich später dieses Dilemmas endgültig enthoben: |
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Nachdem ich eines nachts mit Mühe einen grossen Kerl davon abgehalten hatte, das Gesicht eines am Bodenliegenden mit Fusstritten zu traktieren, erwartete ich, dass der Unterlegene meine Einmischung benützen würde um sich schleunigst aus dem Staube zu machen. Stattdessen erhob er sich blutüberströmt und begann den Grossen auf angriffigste Art zu beschimpfen, weil jener ihm seinen Hut beschmutzt habe. Vergeblich schrie ich ihm zu, er solle machen, dass er fortkomme solange ich den Grossen noch zurückhalten könne. Er bestand darauf erneut eine Niederlage wegen der Lappalie des beschmutzten Hutes zu riskieren und ich überliess die Beiden ihrem Schicksal.
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Ein anderes Mal eilte ich in die Richtung, aus der schrille Hilferufe einer Frau ertönten. Ein Trunkenbold war dabei eine laut jammernde Frau brutal zu verprügeln. Als ich mich einmischte war die Hölle los: Beide, Mann und Frau, schrien wütend auf mich ein, was mir einfalle, mich in Angelegenheiten zu mischen, die mich nichts angingen. Seither mische ich mich in keine Streitereien mehr und gehe guten Gewissens auf der anderen Strassenseite meines Weges...
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Eines Tages bekam ich einen Steuerzettel ins Haus, den ich wahrscheinlich hätte ausfüllen sollen, aber nicht konnte, weil mir die in Amtssprache verfassten Aufforderungen unverständlich blieben. Ich frug einen Bekannten, der während vieler Jahre Finanzminister gewesen war, was ich tun solle. Schreiben sie: "Bin ausländischer Student und habe keine Steuern zu bezahlen", war sein gut gemeinter Rat. Ich befolgte ihn. Er kostete mich später tausende von Francs Busse und (hatte) ein Misstrauen gegenüber Leuten vom Fach (zur Folge), das mir bis heute geblieben ist.
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